Wo waren wir stehen geblieben? Achja,... stehengeblieben bin ich auf einer belebten Straße in New-Delhi und im Begriff, vom Teufel verführt zu werden...
Ein Inder nämlich quatscht mich an, als ich gerade ein Geschäft verlasse, in dem ich Tee als Geschenk für Freunde aus der Heimat gekauft habe. Er betreibe einen kleinen Souvenirladen, ob ich nicht etwas bei ihm kaufen wolle. No, thanks, sage ich und möchte schon weiter gehen, da vernehme ich aus seiner Richtung ein halb geflüstertes: "Haschisch?" "Good Kashmir Cream?" Ich bleibe kurz stehen und überlege. Eigentlich geht es mir gerade gut ohne Einfluss psychoaktiver Substanzen, sogar richtig gut - doch andererseits - lässt sich nicht jede gute Laune mittels eines kleinen Wundermittels noch bis ins unermessliche steigern? "You have some heroin?", frage ich. "Come to my shop."
Der Shop ist sehr klein und gleicht mehr einem engen Gang, einer Höhle, die sich wenige Quadratmeter in die einsgewordene Masse aus New-Delhi-Häusern gräbt. An der Wand hängen Jacken und Westen in schönen Naturfarben und allerlei Figuren, Schalen und Vasen stehen in kleinen Regalen, die dem Raum seinen ohnehin kaum vorhandenen Platz wegnehmen. Wie Dickicht, das einen schmalen Dschungel-Pfad zuwächst. Ich fühle mich beengt.
In was zwänge ich mich da nur wieder hinein, denke ich mir, was wird in diesen 4 Wänden geschehen - endet hier vielleicht meine Reise weil ich nun endgültig all mein Glücksguthaben aufgebraucht habe und in einer sehr nahen Zukunft ein Trupp Delhi-Polizisten hereingestürmt kommt um mich zu verhaften?
Der Shopbesitzer, der ungefähr in meinem Alter sein dürfte, versucht mir alles Mögliche aufzuschwatzen; nicht nur soll ich Figuren, Kleidung und good Kashmir-Cream kaufen, sondern auch noch einen Aufenthalt im Guesthouse seiner Familie, an einem ruhig gelegenen See in Kashmir buchen. Kashmir, da kommt doch diese teure Wolle her? Und anscheinend auch gutes Gebirgshaschisch.
Inzwischen habe ich etwas Indien-Landkartenforschung betrieben, damit mir so ein Reinfall wie mein Manaliaufenthalt nicht ein weiteres Mal passiert. Ich weiß also, dass Kashmir noch weiter nördlich liegt als Manali, hoch droben in den Bergen des Himalaya, und denke an Schnee und Kälte. Es schüttelt mich. Ich bin unter Anderem nach Indien geflogen, um dem Winter in Europa zu entfliehen. Warum sollte ich mich also hier, 12 Stunden Flug von der kalten Heimat entfernt, so viel in schneebedeckten Bergen herumtreiben? Sicher ist es schön, im Himalaya zu wandern, doch das möchte ich vielleicht in einer separaten Reise, irgendwann anders machen und geeigneter ausgerüstet. Jetzt steht mir der Sinn nach Sommer, Sonne und... achja: Nach gutem Heroin.
Es ist gar nicht so leicht, dem Shoptypen klar zu machen, dass ich sein Guesthouse nicht buchen möchte. Was ich denn in Varanasi wolle, dort sei es doch um diese Zeit viel zu heiss, ich solle doch lieber in sein ruhiges Guesthouse am kühlen Bergsee kommen. Klar, für die Inder ist es eine willkommene Abwechslung, die Kühle der Berge aufzusuchen. Er kann oder will es einfach nicht verstehen, dass ich jetzt gen Osten
ziehen, auf meinem Weg Varanasi und Bodhgaya mitnehmen und mir die Sonne... aus dem Arsch scheinen lassen möchte.
Heroin habe er keines da, aber ein Fläschchen Opium-Tinktur. Nein, ich lasse mir keine braune Substanz mehr andrehen, die den Namen "Opium" trägt, egal welche Konsistenz sie auch haben mag. Ich möchte Heroin und will es auch testen, bevor ich es kaufe. Das sind meine Forderungen, die ihn dann schließlich - nachdem er mir doch fast bis an die Grenzen des Erträglichen seine braune Tinktur anzudrehen versucht - dazu veranlassen, seinen Bruder loszuschicken, um das "White", weißes Heroin mit besonders hohem Reinheitsgrad, zu holen. Ich muss etwas Geld mitgeben, lasse mich darauf ein und hoffe einfach, dass ich diesen Menschen vertrauen kann.
Während ich im Shop warte, macht mich eine Kleinigkeit allerdings eher misstrauisch: Auf dem Tisch sind einige Fotos von dem Guesthouse in Kashmir aufgeklebt. Eine kleine Inschrift auf Englisch, eingeritzt in die Kante des Tisches, an dem ich sitze, erregt plötzlich meine Aufmerksamkeit. Man sitzt an diesem Tisch dem Shopmenschen gegenüber. Auf dem Tisch die ganzen Fotos mit glücklichen Gesichtern von Reisegruppen; er hört nicht auf, davon zu erzählen, wie toll es dort ist, lässt mich dutzende Gästebucheinträge lesen, auf Englisch geschrieben, von Leuten, die begeistert erzählen, wie wunderbar es dort war - wieviel Spass sie hatten, oben in Kashmir in diesem Guesthouse. Das ganze klingt einfach zu übertrieben und da ist eben diese kleine Inschrift, die man von dem Sitzplatz aus, der für Kunden gedacht ist, lesen kann: "Don't do it!" steht da und zusätzlich ist ein kleiner Pfeil eingeritzt, der in Richtung der aufgeklebten Fotos auf dem Tisch zeigt. "Don't do it!", ist das einzige, was mir fortan durch den Kopf geht, während der Kashmirfanatiker mir gegenüber nicht müde wird, sein scheinbar überragendes Guesthouse zu loben.
Was hat dieser Mensch erlebt, der das in die Tischkante geritzt hat? Mir gehen verschiedene Versionen einer enttäuschenden oder gar schaurigen Kashmir-Reise eines jungen Touristen in meinem Alter durch den Kopf. Ich bekomme diese merkwürdige Art von Misstrauen, die ich so bisher nur bei indischen Händlern oder in der Junkie-Szene verspürt habe. Vertrauen oder nicht vertrauen? Das ist hier die Frage. Doch Geld anvertraut habe ich ihm zumindest schonmal. Sehnsüchtig warte ich auf den Bruder mit dem Heroin, der mich erlöst von diesem nervtötenden Kashmir-Geschwätz und den heuchlerischen (?) Guestbook-Einträgen, die ich mir einen nach dem anderen durchlesen soll.
Er ruft seinen Bruder an und sie reden irgendwas. Dann meint er zu mir, dass ich noch ein wenig warten müsse. Gut - ich stelle mir vor, wie der Bruder sich durch den dichten Neu-Delhi-Verkehr schwingt wie ein Tarzan und sehe es ein: Das kann dauern.
Währenddessen versuche ich, das Gespräch auf andere Themen zu lenken. Er erzählt mir, wie er Kunden aus Europa Drogen, eingearbeitet in die Schale von hohlen Figuren, zusendet. Hundertprozentig sicher sei das, und noch nieee wäre etwas schief gegangen. Du kennst den deutschen Zoll nicht, denke ich mir nur, freue mich aber insgeheim, dass ich mir nicht mehr die Kashmir-Lobpreisungen anhören muss, sondern er jetzt freudig prahlt, wie toll er Drogen verstecken kann.
Ich sehe mich derweil im Shop etwas um und entdecke eine echt schöne Weste. Sie gefällt mir sehr, doch leider ist sie auch relativ teuer für indische Verhältnisse. Ich spüre eine gewisse Gier, diese Jacke jetzt haben zu müssen, doch verkneife ich es mir. So viel Geld möchte ich einfach nicht ausgeben. Mir geht es darum, mit meinem doch recht begrenzten Guthaben möglichst lange im Land zu bleiben. Auch die Ausgaben für Haschisch, Heroin und Konsorten wachsen mir allmählich über den Kopf. Ich möchte nicht frühzeitig zurückfliegen, nur weil ich meine Gier nicht unter Kontrolle habe. Ein innerer Konflikt macht mir seit einiger Zeit zu schaffen: Sind die kleinen, hedonistischen Drogen-Eskapaden, die ich mir immer wieder leiste, es wert - lohnt es sich, dafür weniger andere Dinge machen oder kaufen zu können (Tempelbesichtigungen, die Geld kosten, Kleidung, Tücher, etc...)?
Doch das kleine Teufelchen auf meiner rechten Schulter weiß meine Entscheidungen für die Drogen geschickt ins rechte Licht zu rücken: Ich habe doch schon ein paar Hosen und T-Shirts, und ein edles Patchwork-Wandtuch; der Rucksack ist eh schon voll, da passt ja gar nichts mehr rein und das mit den Tempelbesichtigungen: Habe ich wirklich Lust, in einer breiten Schlange von ferngesteuerten Oma-Touristen und Foto-Japanern mitzulaufen, um mir kurz das Taj Mahal anzusehen? Diesen Prunkbau, gegen den ich sowieso irgendetwas habe; weil er für mich ein Pseudo-Monument der Liebe ist, von einem reichen Herrscher errichtet, der sein Geld und die Arbeitskraft seiner Sklaven in die Fertigstellung dieses Gebäudes investierte, statt vielleicht einfach den hungernden Menschen auf der Straße zu helfen. Es kursieren ein paar Legenden, wie diese hier: "Angeblich wurde nach Vollendung des Bauwerks allen beteiligten Handwerkern eine Hand abgehackt und die Architekten hingerichtet, um andere Herrscher am Nachahmen zu hindern." (Auf Wikipedia gelesen)
Das klingt nicht nach Liebe.
Der Bruder betritt den Laden. Ich atme auf. Gespannt warte ich darauf, dass er das Heroin zückt. Und tatsächlich, er tut es! Ein kleines Plastiktütchen mit einem weißen, pudrigen Pulver mit leichtem Gelbstich. Ich schaue es mir an. Dann öffne ich das Tütchen und rieche daran. Ein säuerlicher Geruch steigt mir in die Nase, wie Essig. Hm, merkwürdig, solches Heroin habe ich noch nie gesehen. Es ähnelt dem weißen Zeug aus Goa, doch ist die Konsistenz anders. Und dieser Geruch... ich überlege kurz: Ich habe mal gelesen, dass in einem Herstellungsschritt von Heroin mit Essigsäureanhydrid gearbeitet wird. Also lasse ich den Geruch als positives Merkmal für meine Diagnose durchgehen. Als Nächstes folgt der persönliche Test: Ich möchte mir etwas von dem Pulver durch die Nase ziehen. Der Shoptypi ist von der Idee irgendwie nicht so angetan, er möchte es erst nicht. Es könnten ja ständig Leute reinkommen, es sei so gefährlich, das hier zu tun. Ja, klar, die letzte halbe Stunde, die ich hier gewartet habe, ist kein einziger Mensch hereingekommen und jetzt auf einmal kommen sie alle oder wie? Ich würde mich beeilen, sage ich, das ginge total schnell, no problem. Nein, es passt ihm nicht. Ich werde skeptisch. Haben sie mir hier irgendein Essig-Pulver angedreht, das mit Heroin nichts zu tun hat und wollen mich nun damit wegschicken? Ich setze mich aber schließlich durch, er genehmigt mir, eine Nase auf seinem Tisch zu ziehen. Ich schütte eine winzige Menge des Pulvers auf ein Blatt Papier, das ich über die Fotos auf den Tisch gelegt habe, drehe ein Zieh-Röhrchen und schiele währenddessen auf die Tischkante: "dont do it!" Auf meiner rechten Schulter pfeift jemand fröhlich vor sich hin und schielt in der Luft herum. Auf der linken schüttelt jemand einfach nur noch den Kopf. Schnell ist die Nase gelegt und gezogen.
Ich spüre sofort beim Ziehen, dass es etwas Psychoaktives ist. Es brennt aber sehr unangenehm. Vielleicht riecht es deshalb so stark nach Essig, weil der Herstellungsprozess nicht ganz abgeschlossen wurde. (Schnell, schnell machen und verkaufen...) Doch hergestellt wurde in ihm zweifelsfrei: Heroin.
Nach wenigen Minuten strahle ich über's ganze Gesicht. Mir ist so warm und alles ist herrlich. Ich bekomme Lust auf große Abenteuer, ich möchte sofort die ganze Welt erkunden!
Euphorisch kaufe ich mir die schöne Weste, ohne weiter über Geld nachzudenken.
Ach, es seien übrigens 2 Gramm und nicht eines, übersetzt der Shopmensch seinen Bruder. Ob ich denn bitte gleich beide kaufen könne? Denn der Bruder hätte sie auch bereits bezahlt. Ich begutachte den Beutel und bin unsicher: könnten 2 Gramm sein, aber eben auch nicht. Eine Waage gibt es nicht (oder vielleicht nur gerade jetzt, wo ich da bin, nicht). Aber angesichts der hervorragenden Qualität des "White" ist es mir grad egal, wieviel nun wirklich in dem Beutel ist. Es ist definitiv genug, um ein paar schönen Tagen noch zusätzlich die Krone aufzusetzen. So wie diesem Tag zum Beispiel! Ich bin von einer winzigen Nase unglaublich gut drauf.
So etwas hatte ich nie zuvor. Also willige ich ein, ihnen den Preis für 2 Gramm zu zahlen, denn ich will das Zeug jetzt definitiv mitnehmen. Dazu müssen ich und mein lieber Kashmir-Freund noch zusammen zum nächsten ATM (Geldautomaten) fahren. Gut, machen wir das.
Ich betrete die Straße und freue mich auf einmal tierisch, in Neu-Delhi zu sein. Der Lärm und die vielen Leute, die mich anquatschen, stören mich nicht im Geringsten. Im Gegenteil, ich grinse freundlich zurück und bin auf einmal ein Meister des sympathisch-gekonnten Abwimmelns. Ich tauche völlig ein in die Atmosphäre dieser Stadt und fühle mich, als wäre ich nun ein Teil all diesen Treibens. Ein fest zugehöriger Teil. Kein Fremder mehr.
[Hinweis: In dieser Story konsumiert unser Protagonist mal wieder überaus leichtsinnig eine stark süchtig machende Substanz: Heroin. Auch wenn dieses eine schöne Wirkung hervorruft, können die Folgen fatal sein. Hier wird beschrieben, wie angenehm die Wirkung sein kann und alle Risiken werden außer Acht gelassen. Sie sind aber immer vorhanden und dieser Bericht soll nicht dazu animieren, sich ebenso naiv zu verhalten. Denkt immer an die Zukunft und an die Folgen eures Tuns!]