Manali also, lasse ich nach nicht mal einer Woche hinter mir und noch dazu ein Klümpchen Opium, das mir der Haschischvater einige Tage zuvor aufgeschwatzt hat. Oder habe ich es ihm abgeschwatzt? Ach, egal...Jedenfalls hatte es sich so ergeben, dass nicht nur der Vater der kleinen Familie mit seinem Chillum, sondern - meistens kurz nach ihm - auch sein Sohn, der heimlich vor der Schule Opium isst, regelmäßig an meiner Tür anklopfte. Seit jenem Abend, wo er mit Interesse beäugt hatte, wie sein Vater mir das Opium ausgehändigt hat, stand ich im Fokus seiner Aufmerksamkeit. Am Tag vor meiner Abreise vermache ich ihm also den Rest, von dem ich sowieso ablassen möchte, um nicht zu sehr in Abhängigkeit zu geraten.
Ich besorge mir in einer Apotheke ein paar indische Heilkräuter (Brahmi). Die Apothekerin sagt erfreut, und als wisse sie, was ich die letzten Tage getrieben habe: "Aaahh, Brainwash!" Brainwash, wiederhole ich denkend für mich, ja, das klingt gut, genau, was ich jetzt brauche.
Ich steige in einen Bus und erleide Flashbacks von der Herfahrt, wo es so heftig gerumpelt hatte. Dieser Bus aber scheint für die unausgebaute Straße, die sich die Berge hinab- und hinaufschlängelt, besser ausgebaut zu sein. Es ist ein "Sleepingbus", die Art von Bus, die ich jedem Indienreisenden nur wärmstens empfehlen kann! Alle anderen Busse werden dir die Scheisse aus dem Leib rumpeln! Um es mal salopp auszudrücken...
In der beschaulichen Behausung aus Lehm, die mir die letzte Woche Obdach geboten hat, gibt es keine Dusche. Ich stinke also nun wie ein Schwein. Um mich in freier Natur an einem Wasserfall zu waschen war es mir einfach zu kalt. Bezeichne mich als Weichei, aber hey, geh du mal im Winter draußen baden! Zuerst sitze ich allein in einer Zweierreihe und denke mir: Juhu, niemand wird merken, wie ich stinke... doch dann setzt sich - ich überspitze nicht, wenn ich hier schreibe: der dickste Mann unter allen Passagieren genau neben mich. Uff! Na ja, ihn scheint mein Geruch - den ich selber riechen kann(!) - nicht zu stören und vielleicht hat er sich, da neben mir sitzend, ja auch Gedanken gemacht, ob mich seine Fettleibigkeit... beeinträchtigt. War schon ok, bissel eng und so, aber war ok. Ich bin Indisches Reisen mittlerweile gewöhnt!
Die ganze Fahrt über kann ich an nichts anderes denken, als an eine Dusche. Wir erreichen am nächsten Tag unser Ziel. In der Nacht hatten wir ein paar kurze Pausen, um Bidies zu rauchen und Eis zu schlotzen. Jetzt aber stürme ich aus dem Bus und, welch freudige Überraschung: Am Busbahnhof gibt es öffentliche Duschen! Natürlich aber nicht ohne Warteschlange. So warte ich also, dusche mich dann irgendwann genüßlich und trete schließlich aus den Duschräumen hervor wie ein neuer Mensch. Es muss etwa Mittag sein, die Sonne brutzelt, es hupt und dröhnt, Menschen wuseln umher wie in einem riesigen Ameisenhaufen, Straßenküchen braten hier etwas, dort etwas, es riecht nach Chai, ich soll dieses Taxi nehmen und gleichzeitig jenes, ein Hund, der nur noch aus Knochen besteht, hechelt über den Platz, eine Kuh läuft seelenruhig über eine stark frequentierte Verkehrsstraße, als wäre sie irgendwo im Hinterland, die Rikshaws hupen sie an - ja, ich bin in New Delhi.
Ich laufe die Straße gegenüber des Bahnhofs entlang. Mir wird ein Hotelzimmer nach dem anderen angeboten. Irgendwie fühle ich mich so gut - so gelassen - ist es das Brahmi? Die Sonne? Oder ist es, weil ich einfach mal nüchtern bin und mich allein die Tatsache glücklich macht, dass ich in einem so interessanten Land umherwandle und mich eigentlich um nichts zu sorgen brauche? Plötzlich kommt mir ein Mädchen entgegen. Hey, die kenn ich doch, na so ein Zufall, in diesem fremden Land, in der Elf-Millionenstadt Delhi ein bekanntes Gesicht? Wir watscheln aufeinander zu, noch wortlos, doch beide sichtlich am überlegen, woher wir uns denn kennen. Dann machts schnell Klick - ah, dich hab ich doch kürzlich in Rishikesh getroffen, was für ein Zufall! Doch dann machts nochmal Klick: hey, warte mal, du bist doch die Schwester vom ****! Klar, ich kenn dich aus meiner Heimatstadt (wird hier aus Datenschutzgründen nicht erwähnt)! Da trifft man sich in diesem riesigen Land >zufällig(?)< an zwei unterschiedlichen Orten wieder. Oder ist es Schicksal? Oder laufen all die Traveler in Indien halt einfach die eingetretenen Lonely-Planet-Pfade ab, wie von ihren Vortravelern, die diesen Reiseführer schufen, programmiert? Ja, da stehn wir also, in Neu-Delhi und sie hat auch gleich einen super Insider-Hotel-Tipp für mich. Die Straße entlang und dann rechts soll ein kleiner, unbeschilderter Eingang sein. Überall sonst kosten die Zimmer 300, dort angeblich nur 100 - 150 Rupees. Na dann auf! Das Hotel sei nicht weit weg, sie müsse nun aber schnell zum Bahnhof, ein Ticket für die Weiterreise am Abend kaufen. Gut, ganz ungezwungen verabschieden wir uns, so schnell, wie wir uns begrüßt haben. Hm schade, denke ich mir in diesem Moment; mal wieder was mit jemandem machen, der meine Sprache spricht, das wäre gar nicht so verkehrt gewesen...ja, ich sehne mich sogar danach. Doch das Schicksal sollte es gut mit mir meinen, an diesem Tag und so laufe ich, mit leiser Hoffnung auf das, was tatsächlich eintreten wird, weiter die Straße entlang. Ich suche den unbeschilderten Hoteleingang, doch vergeblich. Also laufe ich die Straße irgendwann wieder zurück und halte ausschau nach der Bekannten aus der Heimat, ob sie nicht zufällig gerade vom Bahnhof zurück gelaufen kommt...
Doch ich erblicke sie nicht. Stattdessen werde ich Opfer einer der teuflischen Verführungen, wie sie während meiner Reise auf der Tagesordnung zu stehen scheinen.
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